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REFORM DES VERTRAGSRECHTS IN FRANKREICH – AUSWIRKUNGEN IM BEREICH IMMOBILIEN

Mit der Verordnung Nr. 2016-131 vom 10. Februar 2016 hat Frankreich eine umfangreiche Reform des Vertragsrechts beschlossen.
Die neuen Gesetzesbestimmungen sind auf sämtliche Verträge, die ab dem 1. Oktober 2016 abgeschlossen werden, anwendbar. Verträge, die vor diesem Datum abgeschlossen wurden, sowie Instanzen, die vor diesem Datum eingeleitet wurden, bleiben dem jetzt geltenden Recht unterworfen.
Lediglich die Bestimmungen betreffend die Befragungsmöglichkeit („action interrogatoire“), welche dazu dienen sollen, bei Vorkaufsrechten, Vertretungsvollmachten und Bestätigung von nichtigen Rechtsgeschäften eine Rechtsunsicherheit zu beheben, sind bereits seit dem 11. Februar 2016 anwendbar (siehe Ziffern 1.2. und 2.3. unten).
Die Reform des französischen Vertragsrechts soll das französische Schuldrecht verständlicher und die schuldrechtlichen Verhältnisse sicherer gestalten.
Die Reform verankert teilweise die bestehende Rechtsprechung, teilweise legt sie neue Grundsätze fest.
Nachstehend werden die wichtigsten Änderungen und ihre Auswirkungen im Bereich Immobilien vorgestellt.

1. Verhandlungen und Vorverträge

1.1. Vorvertragliche Verhandlungen – Grundsatz von Treu und Glauben und Informationspflicht

Bisher war die Vorvertragsphase nicht im frz. Code Civil geregelt. Nun wurden die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze im neuen Artikel 1112 des Code Civil¹ übernommen.
Die Aufnahme, der Ablauf sowie der Abbruch von Vertragsverhandlungen unterliegen keinen gesetzlichen Regeln.
Allerdings ist nunmehr der Grundsatz von Treu und Glauben auch während der Verhandlungen und nicht nur bei Erfüllung der Vertragspflichten zu berücksichtigen².

Bei Verschulden während der Vertragsverhandlungen kann nicht der Schaden, der aufgrund des Verlustes, der durch die bei Vertragsabschluss erwarteten Vorteile entstanden wäre, entschädigt werden. Die Parteien unterliegen nun in der Verhandlungsphase einer ausdrücklichen Informationspflicht gegenüber der anderen Partei. Insbesondere müssen der anderen Partei alle Informationen, die für deren Willenserklärung ausschlaggebend sind, offenbart werden³.

1.2. Das Vorzugsrecht („pacte de préférence“)

Das Vorzugsrecht wird nun von den neuen Bestimmungen des Code Civil definiert4.

Durch das Vorzugsversprechen verpflichtet sich der Versprechende, im Falle eines zukünftigen Vertrages (z.B. Verkauf) diesen Vertrag bevorzugt mit dem Begünstigten abzuschließen.
Im Falle, dass der Versprechende den Vertrag entgegen des Vorzugsversprechens mit einem Dritten abschließt, kann der Begünstigte Schadensersatz fordern.
Auch kann der Begünstigte den Vertrag mit dem Dritten gerichtlich als nichtig erklären lassen oder mittels gerichtlicher Entscheidung sich dem Dritten substituieren bzw. in die Rechte und Pflichten des Dritten aus dem Vertrag treten. Dies ist allerdings nur möglich, wenn der Dritte bösgläubig ist und (i) das Bestehen eines Vorzugsrechtes kannte und (ii) nachgewiesen werden kann, dass er wusste, dass der Begünstigte sein Vorzugsrecht ausüben wollte.
Um Dritte zu schützen, wurde im neuen Artikel 1123 Abs. 3 und 4 des Code Civil Dritten die Möglichkeit eingeräumt, den möglichen Begünstigten des Vorzugsrechts zu befragen, ob ein Vorzugsrecht besteht und ob er sein Vorzugsrecht ausüben möchte. Diese Möglichkeit ist bereits am 11. Februar 2016 in Kraft getreten.
Ist der Dritte, der trotz Bestehen eines Vorzugsrechts z. Bsp. eine Immobilie erwirbt, guten Glaubens, so kann der Begünstigte des Vorzugsrechts lediglich Schadensersatz von dem Versprechenden des Vorzugsrechts verlangen.

Im Bereich Immobilien kann die Befragungsmöglichkeit des Begünstigten des Vorzugsrechts von Vorteil sein. Häufig sind die Vorzugsrechte unklar definiert, so dass lediglich eine Befragung Rechtssicherheit bieten kann.

1.3. Das einseitige Versprechen („promesse unilatérale“)

Das einseitige Versprechen wird nun im Code Civil definiert und stellt ein bindendes Angebot dar, mit welchem sich der Versprechende während eines bestimmten Zeitraums verpflichtet, mit dem Begünstigten einen Vertrag abzuschließen, wobei in Hinblick auf den Vertragsabschluss lediglich die Annahme durch den Begünstigten erforderlich ist.

Bisher hatte die frz. Rechtsprechung entschieden, dass sich der Versprechende bei Widerrufung seiner Willenserklärung vor Annahme durch den Begünstigten lediglich schadenspflichtig machte.
Nun sehen die neuen Gesetzesbestimmungen vor, dass der Versprechende seine Willenserklärung weder vor noch nach der Annahme durch den Begünstigten widerrufen kann.

2. Zustandekommen des Vertrages

2.1. Inhalt des Vertrages

Mit der Reform wird ein allgemeines Verbot von Vertragsklauseln, die die Substanz einer wesentlichen Vertragspflicht einer Partei entleeren, in den Code Civil eingeführt6.
Mit dieser Kodifizierung wird die heutige Rechtsprechung des französischen Kassationsgerichtshofs verankert7.

2.2. Willensmängel

Die Willensmängel, die u.U. die Anfechtung eines Vertrages ermöglichen, sind nach wie vor der Irrtum, die Gewalt und die arglistige Täuschung.
Die Begriffsbestimmung des Irrtums wird klarer gefasst, indem sie sich auf die wesentlichen Eigenschaften des Vertragsgegenstandes, die stillschweigend oder ausdrücklich zwischen den Parteien vereinbart wurden, bezieht8.
Um die schwächere Vertragspartei zu schützen, wurde ebenfalls die Begriffsbestimmung der Gewalt auf den Missbrauch der wirtschaftlichen Abhängigkeit des Vertragspartners erweitert9. Folgenderweise können Verträge als nichtig erklärt werden, falls eine Partei die wirtschaftliche Abhängigkeit ihres Vertragspartners nutzt, um deutlich unausgewogene Verpflichtungen zu erhalten, die der Vertragspartner normalerweise nicht akzeptiert hätte.

Im Bereich Immobilien ist noch größere Vorsicht bei Immobilienverkäufen als zuvor geboten. Sämtliche Informationen, die im Zusammenhang mit den wesentlichen Eigenschaften des Vertrages stehen, sind zu offenbaren (so z. Bsp. Befragung eines Mieters über die Anmietung von freien Räumlichkeiten im Gebäude, Mietbedingungen und Antwort des Mieters).

2.3. Nichtigkeit des Vertrages

Im Fall einer mangelhaften Willenserklärung wegen Irrtum, Gewalt, arglistige Täuschung oder einer mangelhaften Fähigkeit kann die betroffene Partei nach wie vor die Nichtigkeit des Vertrages vor Gericht fordern.

Um für eine größere Rechtssicherheit zu sorgen, hat der Gesetzgeber eine neue Befragungsmaßnahme („action interrogatoire“) vorgesehen. Gemäß des neuen Artikels 1183 des Code Civil kann die Partei, die eine Nichtigkeitsklage befürchten kann, ihren Vertragspartner schriftlich befragen, ob er den Vertrag trotz des Nichtigkeitsgrundes bestätigen möchte. Sollte der Vertrag nicht bestätigt werden, so ist der Vertragspartner verpflichtet, ihn innerhalb von 6 Monaten anzufechten, andernfalls gilt der Nichtigkeitsgrund als bestätigt.

2.4. Elektronisch geschlossene Verträge

Mit der Anerkennung der Beweiskraft von elektronisch geschlossenen Verträgen und von elektronisch gespeicherten Kopien wird das zivilrechtliche Beweisrecht an die technologische Entwicklung angepasst10.

3. Wirkung des Vertrages

3.1. Unvorhersehbarkeit

Eine der wesentlichen Änderungen der Reform besteht in der Verankerung der Theorie der sog. Unvorhersehbarkeit („imprévision“).
Ändern sich die bei Vertragsabschluss nicht vorhersehbaren Umstände und führen dazu, dass für eine Vertragspartei die Ausführung des Vertrages zu kostspielig wird, kann von dem Vertragspartner eine Neuverhandlung gefordert werden. Die Vertragsausführungspflicht gilt dabei weiterhin. Scheitert die Neuverhandlung des Vertrages, kann die gerichtliche Anpassung des Vertrages oder die Beendigung gefordert werden.
Im Bereich Immobilien kann die Theorie der Unvorhersehbarkeit viele Anwendungen finden: hohe Preissteigerungen oder -senkungen bei Immobilienankäufen, Erhöhungen der Zinssätze bei Immobiliendarlehensverträgen…
Um der Rechtsunsicherheit zu entgehen, die sich aus dem Vorhergehenden ergibt, kann vertraglich die Anwendung der Theorie der Unvorhersehbarkeit ausgeschlossen werden. Zur Aufnahme solcher Ausschlussklauseln ist stark zu raten.

3.2. Abtretung von Verträgen (Artikel 1216 des Code Civil)

Die Abtretung von Verträgen wird durch die Reform in den Code Civil als solche eingeführt.
Das Ziel der Abtretung von Verträgen besteht nicht nur in der Abtretung einer Forderung oder einer Schuld, sondern in der Abtretung der Eigenschaft der Partei eines Vertrages im Allgemeinen.
Die Voraussetzungen der Abtretung von Verträgen sind durch Artikel 1216 Code Civil geregelt: (i) der Vertragspartner muss der Abtretung zustimmen und (ii) die Abtretung muss schriftlich erfolgen. Die Zustimmung des Vertragspartners kann bereits im Voraus erteilt werden (z. Bsp. durch eine Klausel im Vertrag).

Wenn die abgetretene Partei nicht an dem Abtretungsvertrag teilnimmt, muss ihr die Abtretung zugestellt werden. Eine Zustellung ist nicht erforderlich, wenn die abgetretene Partei anderweitig von dieser Abtretung Kenntnis erlangt hat.

Im Bereich Immobilien bedeutet dies, dass die Vertragsabtretung leicht erfolgen kann. Insbesondere bei Immobilienverkauf stellt sich häufig die Frage der Fortführung durch den Käufer der Wartungs- und Dienstleistungsverträge, die im Zusammenhang mit der Immobilie stehen. Durch die Reform können diese nunmehr einfach auf einen Käufer übertragen werden, insofern diese Möglichkeit bereits vertraglich vorgesehen war.

3.3. Abtretung von Forderungen (Artikel 1321 ff. des Code Civil)

Die Abtretung von Forderungen war bereits vor der Reform möglich. Die Reform hat allerdings die Formbedingungen der Abtretung vereinfacht.
Vor der Reform musste die Abtretung dem Vertragsschuldner per Gerichtsvollzieher zugestellt werden.11 Gemäß des neuen Artikels 1324 des Code Civil muss der Abgetretene von der Abtretung „Kenntnis erlangt haben“, eine Zustellung per Gerichtsvollzieher ist nicht mehr erforderlich.
Die anderen Voraussetzungen der Abtretung bleiben unverändert: Die Abtretung setzt (i) eine aktuelle oder künftige und (ii) eine bestimmte oder bestimmbare Forderung voraus.

3.4. Abtretung von Schulden (Artikel 1327 des Code Civil)

Die Abtretung von Schulden wird nun im frz. Zivilgesetzbuch verankert. Die Schuldenabtretung wurde bisher von der Rechtsprechung akzeptiert, war aber aufgrund in Ermangelung einer gesetzlichen Regelung in der Abwicklung ungewiss.
Gemäß des neuen Artikels 1327 des frz. bürgerlichen Gesetzbuches ist die Zustimmung des Gläubigers erforderlich, sie kann aber bereits im Voraus festgehalten werden.

3.5. Neue Rechte der Vertragsparteien im Falle der Nichterfüllung

Die Reform bietet den Vertragsparteien verbesserte Handlungsmöglichkeiten im Falle der Nichterfüllung von Vertragspflichten durch die andere Partei, wie z. Bsp. die Preisminderung ohne vorherige Genehmigung des Richters.
Weiter kann die beeinträchtigte Vertragspartei die nicht erfüllten Verpflichtungen auf Kosten der anderen Partei durch einen Dritten ohne vorherige gerichtliche Genehmigung erfüllen lassen.

3.6. Rücktritt vom Vertrag

Allgemein
Der Rücktritt von einem Vertrag bei Vorliegen einer schweren Pflichtverletzung ist nunmehr möglich, ohne dass gerichtliche Interventionen erforderlich sind, auch wenn eine solche Möglichkeit nicht vom Vertrag vorgesehen ist. Zu diesem Zweck muss der säumigen Partei ein Mahnschreiben mit Fristsetzung zugestellt werden.
Bezüglich der rechtlichen Folgen der wirksamen Ausübung des Rücktrittsrechts unterscheiden die neuen Regelungen, ob es sich bei dem Vertrag um ein Dauerschuldverhältnis handelt oder um einen Vertrag, der durch einmaligen Austausch von Leistung und Gegenleistung erfüllt wird (wie etwa beim Kaufvertrag). Bei Dauerschuldverhältnis betrifft die Rückerstattung nur die Leistung, für die in Bezug auf die Nichterfüllung keine Gegenleistung erbracht wurde.

Rücktrittsklausel
Nunmehr sind allgemeine Rücktrittsklauseln nicht mehr gestattet. Die Rücktrittsklausel muss genau die Nicht- oder Schlechterfüllung aufführen, die einen Vertragsausstieg ermöglicht.
Im Bereich Immobilien, so z. Bsp. bei gewerblichen Mietverträgen, Wartungsverträgen etc., bedeutet dies, dass bei Gestaltung von Rücktrittsklauseln Vorsicht geboten ist.